Markov – Einleitung

TL;DR

In der versicherungsmathematischen Theorie ist der Markov-Ansatz ein formelbasiertes Verfahren aus dem 19. Jahrhundert zur einfachen und einheitlichen Kalkulation beliebiger Tarife. Der Ansatz ist nicht gerade jung, gewinnt jedoch erst in den letzten Jahren wegen immer schnellerer CPUs an praktischer Bedeutung für versicherungsmathematische Rechenkerne. In diesem Einführungsartikel soll der Ansatz anhand des Beispiels einer Risikoversicherung anschaulich dargestellt werden.


Der Markov-Ansatz in der Versicherungsmathematik geht auf Thorvald Nicolai Thiele zurück – ein dänischer Aktuar, der von 1838 bis 1910 lebte. Er gilt als Begründer der modernen Versicherungsmathematik. Nach ihm ist die folgende Thiele’sche Differenzengleichung benannt, die man auch als Weltformel der klassischen Versicherungsmathematik bezeichnen könnte, da sich damit jeder bekannte oder auch neuartige Tarif intuitiv abbilden lässt.

mit

(Für allgemeine Symbole siehe Symbolverzeichnis.)

Die Formel wurde zur leichteren Anwendbarkeit spezialisiert auf ein Versicherungsmodell mit den üblichen Größen „Beitrag“, „Kosten“ usw. In der Literatur kennt das Modell i.d.R. nur Zustandszahlungen (a = EFL + K – B) und Zustandsübergangszahlungen (b = LST).

Die obige Symbolik lässt zuerst einmal nicht erahnen, dass das Formelwerk für branchenübliche Tarife und unter Zugrundelegung jährlicher Kalkulation (d.h. k ist die abgelaufene Dauer in ganzen Jahren) vollständig identisch zu einem mit dem bekannten Barwert-Kalkül berechneten Deckungskapital ist. Dies möchte ich im Folgenden für eine Risikoversicherung zeigen.

Beispiel: Risikoversicherung

Das Deckungskapital einer Risikoversicherung mit Verwaltungskosten als einzige Kosten ist wie folgt definiert:

Übertragen auf den Markov-Ansatz bedeutet dies nun:

Einfach, oder? Man definiert einfach seine Zahlungsströme für Zustandszahlungen sowie Übergangszahlungen und ist fertig. Man muss sich nie wieder mit Kommutationswerten etc. herumschlagen.

Daraus ergibt sich die folgende rückwärts rekursive Deckungskapitalformel für den Zustand *.

Dies ist (bis auf Umformung und Symbolik und natürlich die hier ergänzten Verwaltungskosten) vollkommen äquivalent zu unserer Herleitung des Risikobeitrags für eine Risikoversicherung im Artikel Risikobeiträge. Der Markov-Ansatz führt also für gewöhnliche Tarife zu exakt denselben Werten.

Pro und Contra

Üblicherweise wird der Markov-Ansatz mit monatlicher Kalkulation auf Basis monatlicher Übergangswahrscheinlichkeiten angewandt. Damit hat man die völlige Flexibilität bei der Abbildung seiner Tarife und die folgenden Vorteile:

  • Exakte monatliche, vierteljährliche oder halbjährliche Beitragseingänge (kein Ratenzuschlag mehr, kein Beitragsübertrag mehr)
  • Keine Interpolation mehr (außer man rechnet untermonatlich)
  • Einfach abbildbare flexible Beitrags- und Leistungsverläufe, z.B. eine Todesfallleistung als Maximum aus halber Versicherungssumme und aktuellem Deckungskapital (nicht abbildbar mit klassischem Barwert-Kalkül)
  • Einfach und exakt abbildbare deckungskapitalproportionale Kosten
  • In jedem Rekursionsschritt erhält man quasi als Abfallprodukt die Beitragszerlegung bzw. die Zerlegung der Entwicklung der Deckungsrückstellung (wichtig für das Rechnungswesen).

Es gibt aber auch Nachteile:

  • Die algorithmische Komplexität ist mindestens O(n), d.h. der Rechenaufwand ist unverhältnismäßig höher als bei der Berechnung mittels Kommutationswerten. Dessen algorithmische Komplexität ist O(1) (unter der Voraussetzung, dass die Kommutationswerte vorberechnet wurden). Dieser Nachteil wird zum Teil dadurch wettgemacht, dass mit einer Berechnung der Deckungskapitalverlauf sowie die gesamte planmäßige Beitragszerlegung als Abfallprodukt gewonnen werden. Dies muss jedoch auch durch geeignete Caches o.ä. genutzt werden.
  • (Noch) nicht sehr bekannter und verbreiteter Ansatz in der Versicherungstechnik („Berührungsängste“)

Ausblick

In weiteren Artikeln werde ich Euch zeigen,

Risikobeiträge

TL;DR

Um den Risikobeitrag eines bestimmten Tarifs mit gebräuchlichen Methoden der Versicherungsmathematik herzuleiten, löst man die beitragspflichtige Deckungskapitalformel nach dem Beitrag auf und trennt bei jedem Barwert den ersten Summanden heraus. Weitere Umformungen zerlegen den Beitrag in einen Sparbeitrag und den gesuchten Risikobeitrag. Dies wird anhand einer Risikoversicherung demonstriert.


In meinem ersten Blog-Post möchte ich Euch gerne zeigen, wie man den Risikobeitrag eines bestimmten Tarifs mathematisch herleiten kann. Ich zeige dies anhand einer einfachen Risikoversicherung. Das Prinzip ist aber auf jeden beliebigen Tarif übertragbar.

Eine branchenübliche Risikoversicherung hat den folgenden Risikobeitrag:

(Für allgemeine Symbole siehe Symbolverzeichnis.)

Dieser Risikobeitrag lässt sich intuitiv erklären (und bei Bedarf sogar intuitiv herleiten). Er gewichtet das unter Risiko stehende Kapital (“Riskiertes Kapital”) – also die Differenz aus Versicherungssumme und Deckungskapital – mit der Sterbewahrscheinlichkeit des (k + 1)-ten Versicherungsjahres. Da die Todesfallleistung rechnungsmäßig erst am Ende des Jahres ausgezahlt wird, wird ein Jahr diskontiert (v) und das Endjahresdeckungskapital (k + 1) zugrunde gelegt.

Herleitung

Ich möchte nun jedoch diesen Risikobeitrag herleiten. Dazu beginne ich mit der Definition des beitragspflichtigen Deckungskapitals ohne Berücksichtigung von Kosten, das jedem von Euch geläufig sein sollte.

Dabei ist NJB der Nettojahresbeitrag ohne Kosten. Er wird wie folgt berechnet.

Wie wir sehen werden, zerlegen wir den Beitrag bei der Herleitung des Risikobeitrags in den Sparbeitrag (zum Aufbau des Deckungskapitals) und den Risikobeitrag (zur Finanzierung des Risikos). Würden wir auch Kosten ansetzen (“Bruttojahresbeitrag”), so würde man im selben Zuge auch die Kostenbeiträge herleiten. Der Einfachheit halber kann man oft auf die Ansetzung von Kosten verzichten, da diese im Risikobeitrag keine Rolle spielen. Sollte einmal doch die Beitragszerlegung nicht aufgehen, sollten die Kostenbestandteile in der Deckungskapitalformel ergänzt werden (“Bruttodeckungskapital”). Dies ist z.B. bei Termfix-Versicherungen notwendig.

Wir formen nun das Deckungskapital um und lösen nach NJB auf. Dabei ist der wichtigste Punkt das Heraustrennen des ersten Summanden aus den Barwerten. Es gilt bekanntlich:

Nun folgt:

Dies – also die Herauslösung des ersten Summanden – ist der entscheidende Schritt zur Herleitung des Risikobeitrags. Zur Übung bietet sich sich an, den dritten Schritt langsam zu vollziehen. Es folgt weiter:

Mit

folgt schließlich:

Fazit

Damit ist man fertig. Man muss hierfür natürlich wissen, dass der Sparbeitrag – also der Teil des Beitrags, der zum Aufbau des Deckungskapitals verwendet wird – die angegebene Form hat. Dies ist jedoch im Allgemeinen der Fall. Es handelt sich dabei um die Deckungskapitalveränderung ohne Zinsen – im beitragspflichtigen Zustand kann dies nur der Sparbeitrag sein.

Im beitragsfreien Zustand lässt sich ein Deckungskapital ebenfalls auf die angegebene Weise zerlegen. Dann erfolgt die Umformung jedoch nicht nach NJB, sondern nach

also der Deckungskapitalveränderung ohne Zinsen. Diese lässt sich zerlegen in einen Risikobeitrag und – falls vorhanden – die Kosten, die dem Deckungskapital im beitragsfreien Zustand entnommen werden.

Nicht jeder Risikobeitrag lässt sich so einfach herleiten. In der Regel ist eine hohe Konzentrationsleistung erforderlich, um keine Fehler bei der Umformung der Terme zu machen – z.B. bei BUZ-Tarifen oder Hinterbliebenenzusatzversicherungen. Das Prinzip ist jedoch dasselbe.

Vgl. Artikel Weitere Risikobeiträge für die Herleitung weiterer Risikobeiträge.